Was tun als Opfer von Beziehungs- und Sexualdelikten? Teil 1

26. August 2024

Daniel Ferber, LL.M.

Was tun als Opfer von Beziehungs- und Sexualdelikten?

Aus vielfältigen, oft sehr gut nachvollziehbaren Gründen stellen sich viele Opfer von Beziehungs- und Sexualdelikten die Frage, ob sie einem Strafverfahren tatsächlich bis zum Ende standhalten möchten und/oder können. Soweit das Opfer zu einer solchen Entscheidung in der Lage ist, ist diese Entscheidung allein von ihm selbst zu treffen und sie sollte deshalb keinen pauschalen Wertungen unterliegen. Die Entscheidungsfindung ist meist mühsam und benötigt regelmäßig eine geraume Weile.

Wie sichere ich Beweise nach einem Sexualdelikt?

Um die Beweislage für den Fall einer Strafanzeige der Tat gegenüber einer Situation von Aussage gegen Aussage positiv zu gestalten, sollte der Rechtsanwalt, insbesondere bei Beratungen kurz nach der Tatbegehung, darum bemüht sein, Maßnahmen zur Beweissicherung zu ergreifen. Denn unabhängig von den nachfolgenden Maßnahmen verringert sich erfahrungsgemäß die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung mit jedem Tag.

Wozu eine medizinische Untersuchung?

Ein Opfer von Gewalttaten sollte eine medizinische Untersuchung durchführen. Diese beherrschen nicht nur allgemein zugelassene Ärzte. Es gibt in zahlreichen Bundesländern Opferambulanzen, die auf anonymer Basis Beweissicherung nach gerichtsmedizinischen Maßstäben durchführen (in Nordrhein-Westfalen bislang leider nur für weibliche Opfer: https://www.opferschutzportal.nrw/themen-von-z/anonyme-spurensicherung-ass). Das Opfer sollte die Folgen der Gewaltanwendung in jedem Fall wenigstens fotografisch dokumentieren (lassen).

Wie ist mit DNA-Beweisen umzugehen?

Es ist sehr schwierig, mit potenziellen DNA-Beweisen umzugehen. Nicht nur, dass DNA grundsätzlich vergänglich ist, sondern auch ihre Vergänglichkeit variiert stark in Abhängigkeit vom Umgang mit dem Material. In einem Fall etwa benutzte der Täter Klebeband, um seine Opfer zu fesseln. Mit dem Mund hatte er das Klebeband vor den Augen seiner Opfer abgetrennt. Weil aber auf der glatten Seite des Klebebandes keine DNA vorhanden war und auf der klebrigen Seite des Klebebandes der aggressive Klebstoff alle DNA zerstörte, gelang in keinem der Fälle eine DNA-Erhebung. So konnte der Täter bis heute nicht überführt werden.

In den RAF-Verfahren der 1970er Jahre konnten die in Plastiktüten gelagerten Beweismittel nicht mehr als Beweismittel verwendet werden, nachdem sie von Bakterien zerstört worden waren. Im Gegensatz dazu enthielten in Papiertüten gelagerte Beweismittel noch nach Jahrzehnten brauchbare DNA. Soweit also Beweismittel existieren, sollte der Rechtsanwalt tunlichst darauf drängen, diese der Polizei zu übergeben. Da die Polizei ohne Tat eigentlich keine Maßnahmen treffen darf, ist von einer anonymen Beweismittelübergabe zur Beweissicherung abzuraten.

Was kann das Opfer eines Beziehungs- oder Sexualdelikts außerdem tun?

Vor allem, wenn die Erstattung der Strafanzeige bislang unterblieben ist, sollte das Opfer den Tatablauf sowie das Tatvor- und das Tatnachgeschehen so präzise wie möglich dokumentieren. Dies kann bereits zu nicht unerheblichen Schwierigkeiten führen. Denn es ist schwierig, Taten zu konkretisieren, wenn sie länger zurückliegen. Bei einmaligen Taten kann dies damit in Verbindung gebracht werden, dass die Opfer zum Zeitpunkt der Tat entweder sehr jung waren oder geistig beeinträchtigt sind, wodurch kaum weitere Informationen über die Tatumstände vorliegen können. Bedeutend schwieriger gestaltet sich die Formulierung des Tatvorwurfs bei einer großen Anzahl im Raum stehender (Missbrauchs-)Taten. Besondere Verletzungsfolgen, Taten im Zusammenhang mit Feiertagen oder von Geburt und Tod von Menschen sind hier häufig die einzigen Taten, an die sich die Opfer besonders genau erinnern. Hier kann ein Rechtsanwalt bei der Ausarbeitung einer Strafanzeige durch seine Unterstützung dem Opfer bei der notwendigen Konkretisierung des Tatvorwurfs wichtige Hilfe und zugleich einen erheblichen Beitrag zu einer qualifizierteren Verfolgung der Tat leisten.

Sucht das Opfer zeitnah zur Tat einen fachkundigen Arzt auf, kann dieser anhand seiner Untersuchungsergebnisse mitunter die Tatzeit (näher) bestimmen. Mit Hilfe eines Rechtsanwalts ist das Opfer außerdem in der Lage, schnell und „unbürokratisch“ Buchungsunterlagen im Ausland (Sexualtat im Urlaub) zu besorgen. Die Ermittlungsbehörden müssen hingegen Rechtshilfe in Anspruch nehmen und verlieren in vielen Fällen wichtige Zeit.

Beachten sollten Opfer von Beziehungs- oder Sexualdelikten, dass überzogene Äußerungen („hat mich jede Woche vergewaltigt, ohne Ausnahme“), die dann im Laufe eines Ermittlungsverfahrens widerlegt werden, der Glaubwürdigkeit eines Opfers diametral entgegenstehen.

Ist ein Coaching vor der Erstattung einer Strafanzeige sinnvoll?

Vorsicht ist ebenfalls geboten, sollte der als Beistand fungierende Rechtsanwalt zur Spezifizierung einer Aussage ein Coaching in Betracht ziehen. Dieses könnte die Glaubhaftigkeit der Aussage in Zweifel ziehen. Es steht zu befürchten, dass ein vermeintliches Opfer dies ausnutzen und einen Zusammenhang zwischen Lüge und nachprüfbarem Geschehen herstellen könnte, wenn der gutgläubige Beistand das lügende vermeintliche Opfer darauf hinweist, dass seine Aussage glaubhafter ist, wenn die Tatbeschreibung in engem Zusammenhang mit einem überprüfbaren Geschehen steht. Solche Fragen können auch Scheinerinnerungen hervorrufen oder verstärken, indem sie unbewusst falsche Vorstellungen des angeblichen Opfers mit tatsächlichen Sachverhalten verknüpfen. Die Glaubhaftigkeit der Aussage kann beeinträchtigt werden, wenn bei einer Aussage des Opfers im Strafverfahren oder bei deren Überprüfung durch einen Sachverständigen festgestellt wird, dass die Aussage regelmäßig mit dem Beistand des Verletzten „erarbeitet“ wurde.

Letztlich wird stets ein äußerst sensibler Bereich der Beratung zurückbleiben, welcher einer verallgemeinernden Einschätzung entzogen bleibt. Deshalb ist es für Opfer von Beziehungs- und Sexualdelikten von enormer Bedeutung, sich einen vertrauensvollen Beistand zu wenden.

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